Dcentra Interview – Supply Chains auf Blockchain
Blockchainwelt: Hallo Patrick, vielen Dank für deine Bereitschaft, unseren Lesern ein Interview zu geben und liebe Grüße in den Frankfurter Raum. Da kommen ja die vier Gründer von dCentra her.
Patrick: Hallo Stefanie, schön, dass der Termin geklappt hat und natürlich freue ich mich, mehr von dem Start-up erzählen zu können, da wir gerade sehr positive Entwicklungen und spannende Projekte verkünden können.
Blockchainwelt: Dann fangen wir mal direkt an. Welche Leistungen bietet ihr bei dCentra an?
Patrick: Wir sind ein Start-up aus dem Frankfurter Raum und stammen alle aus dem Bereich von Entwicklungs- und Beratungsleistungen um das Thema Blockchain. Schon vor unserer Unternehmensgründung hatten wir mit Enterprise, Behörden und Großkunden zu tun.
Wir haben dann aber für uns entschieden, dass wir den Fokus auf den Mittelstand in Deutschland legen wollen. Aus unserer Sicht passt hier die Blockchain als Technologie ganz hervorragend, denn in den KMU geht es um Kooperationen zwischen Unternehmen.
Blockchainwelt: Was benötigen Kunden, die zu euch kommen, wirklich? Geht es immer um ein konkretes Problem, wo die Blockchain helfen kann?
Patrick: Die meisten Kunden kommen, weil sie von Blockchain gehört haben und glauben, ein Problem zu haben, dass man mit Blockchain lösen kann.
Oft stellt sich beim Erstgespräch aber schnell heraus, dass der Kunde zur Lösung seines Problems keine Blockchain benötigt. Das sagen wir ihm dann auch ganz offen.
Ist sein Problem dann doch für die Technologie geeignet, dann entscheiden wir uns entweder für eine öffentliche Blockchain oder Hyperledger Fabric für konsortiale Blockchains.
Letzteres ist der weitaus häufigere Fall, den wir haben. Wir gehen dann in die Architektur-Phase und zeigen dem Kunden, was wir vorhaben.
Die Entwicklung der Lösung findet dann entweder hier inhouse statt oder zusammen mit unserer Partnerfirma in Rumänien.
Patrick Charrier, dCentra.io
Patrick Charrier beschäftigt sich seit 2012 mit Blockchain und entwickelt seit 2017 Projekte mit den Schlüsseltechnologien Ethereum und Hyperledger Fabric.
Nach Mitwirkung in Blockchain-Projekten mehrerer Großunternehmen und Behörden arbeitet er seit 2019 beim Start-up dCentra als Development Lead an Blockchain-Produkten für den Mittelstand.
Blockchainwelt: Wo liegen die Branchen, die nach euren Lösungen fragen?
Patrick: Es geht eigentlich hauptsächlich um die Supply Chain, aber auch Tokenisierung von Musikrechten ist schon vorgekommen. Grundsätzlich geht es fast immer mit der Anbindung und Aufbereitung von existierenden Datenquellen los.
Unser konventionelles IT-Wissen kommt uns hier sehr zugute, denn wir können nicht nur Blockchain, sondern auch die üblichen IT-Leistungen umsetzen. Im Kern der eigentlichen Blockchain-Anwendung geht es dann fast immer um Prozesse zwischen den Unternehmen.
So wie, wenn ein Maschinenzulieferer seine Maschine an den Endkunden ausgeliefert hat, diese aber kaputtgeht. Es wird ein externer Dienstleister bestellt, der die Maschine reparieren soll.
Hier sind also drei Parteien involviert, die miteinander agieren und dieser Prozess inkl. Abrechnung u. v. m. lässt sich idealerweise auf der Blockchain abbilden.
Blockchainwelt: Welche Probleme haben die Kunden, die sich von dCentra eine Lösung ihres Problems versprechen?
Patrick: Unternehmen haben häufig bereits bestehende Microservices in Java oder SAP. Die werden durch die Integration einer Blockchain-Lösung ja nicht weggenommen, sondern müssen integriert werden.
Ich würde sagen, es geht bei 60 % unserer Arbeit nicht um Blockchain an sich, sondern um die Einbindung der Schnittstellen und die nötigen Formatkonvertierungen.
Dabei geht es immer um Daten, die ein Unternehmen hat und die zu einem anderen Unternehmen übertragen werden müssen.
Zum Beispiel wird die Ankunft des Produkts quittiert oder der Transporteur bestätigt die Übernahme der Lieferung.
Aktuell sehen wir eine fortgeschrittene Digitalisierung innerhalb von Unternehmen. Doch was noch fehlt, ist die Digitalisierung zwischen Unternehmen und genau hier kommen unsere Leistungen ins Spiel. Das hohe Digitalisierungspotenzial, das zwischen Unternehmen und ihren kooperativen Prozessen liegt, ist unserer Meinung nach bisher noch nicht richtig erkannt worden. Das wollen wir mit dCentra ändern.
Blockchainwelt: Welche Blockchains setzt ihr ein und warum?
Patrick: Hyperledger Fabric, weil es die derzeit beste Lösung ist, wenn es um private Prozesse zwischen Unternehmen geht. Denn die wollen ja nicht alles offenlegen, was ein Problem bei Ethereum darstellt, wo man alles mitlesen kann.
Es gab auch Fälle, bei denen wir Ethereum eingesetzt haben, beispielsweise zur Auditierung. Also wenn man will, dass in einem Konsortium die Informationen als Hashwert zusätzlich gesichert sind, dann ist Ethereum gut. Auch bei Projekten mit Tokenisierung setzen wir häufig auf Ethereum.
Bei diesen Ethereum-Börsen kannst Du ETH kaufen.
Blockchainwelt: Welche Projekte oder Use Cases wurden bisher umgesetzt?
Patrick: Im Bereich der Tokenisierung ging es um Musikrechte. In der Regel ist es so, dass Musiker einen Teil ihrer Eigentumsrechte behalten und den Rest an Plattenlabel oder andere Dienstleister abtreten. Auch die GEMA bekommt ihren Anteil, wann immer das Musikstück abgespielt wird.
Die Verwertungsrechte konnten bisher nicht so einfach an Privatpersonen veräußert werden, wie bei Aktien, und der gesamte Prozess der Übertragung war an Notare gebunden. Dementsprechend ist es teuer, ineffizient und langwierig.
Wir hatten einen Kunden, der mit Token in der Lage sein will, auch privaten Personen das Investieren in Musikrechte zu ermöglichen. Dafür haben wir einfach die Verwertungsrechte in Token gepackt und jetzt erhalten die Privatinvestoren nicht mehr ein gigantisch großes PDF mit über 500 Seiten, wie es zuvor bei der üblichen Regelung mit Notaren üblich war.
Zunächst haben wir die PDFs maschinenlesbar gemacht, dann die Daten auf eine private Blockchain geschrieben und zur Auditierung Hyperledger Fabric verwendet, weil es große Datenmengen waren.
Das ausgeschüttete Geld wird in USDC auf Ethereum ausgegeben, einem tokenisierten Dollar. Jeder Investor kann leicht und ohne Notar seine Einnahmen aus den Musikrechten erhalten.
Die Einnahmen werden direkt auf die Ethereum-Adressen der Besitzer der tokenisierten Musikrechte überwiesen, was sehr effizient ist.
Ein interessanter Use Case im Bereich der Supply Chain ist der von TrueCrop. Hier geht es um Baumwolle und das Projekt steht unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Die gemeinnützige Organisation hat das Projekt als Ganzes finanziert. Dabei geht es darum, die Bedingungen für Baumwollbauern in Indien zu verbessern.
Die Partnerfirma in Indien ist Weather Risk Management Systems (WRMS). Die Firma versichert Baumwollbauern gegen den Ausfall ihrer Ernte und Ernteschäden.
Für diese Versicherung benötigt das Unternehmen aber Daten wie die Größe der bewirtschafteten Fläche, die Koordination vom Feld, den Zustand der Felder und vieles mehr.
Sie nutzen dafür Daten von Satelliten und auch die Selbsteinschätzung der Bauern.
Fotos liefern darüber hinaus Informationen über den Zustand der Pflanzen. Basierend auf diesen Daten konnte man also abschätzen, wie gut eine Ernte werden wird. Am Ende jeder Anbauphase steht die Ernte.
Aber auch der weitere Verlauf wurde getrackt, unter anderem der Weg der Baumwolle mit dem Transporteur, die Weiterverarbeitung und viele andere Schritte auf dem Weg zum Endkonsumenten.
Allerdings ist derzeit nicht der Endkonsument das Ziel, sondern die Datenkette hört etwa beim Zwischenhändler in den USA auf. Wir haben die Daten auf Hyperledger Fabric geladen, mit zunächst drei Nodes.
Das ist die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, die Partnerfirma WRMS und wir mit dCentra. Das Projekt endete zu diesem Zeitpunkt vor einem Jahr, denn es gab ein neues unerwartetes Problem.
Dank der Globalen Initiative für den Zugang zu Versicherungen können Kleinbäuer*innen in Indien mit Hilfe von Blockchain dokumentieren, dass sie nachhaltig Baumwolle und Erdnüsse produzieren. Auf diese Weise werden auch Klimarisikoversicherungen gestärkt. Im Projekt werden in Kooperation mit dem indischen Projektpartner Weather Risk Management Services (WRMS) und dem Service Provider dCentra Daten zu Anbaupraktiken mit Hilfe der Technologie gespeichert. Halten sich die teilnehmenden Kleinbäuer*innen an die vorgegebenen nachhaltigen Praktiken, erhalten sie im Fall von Ernteverlusten eine Versicherungsauszahlung. Durch den Einsatz von Blockchain-Technologie kann die Einhaltung der Vorgaben transparent und unabhängig überprüft werden, denn das Versicherungsmodell und mögliche Auszahlungen beruhen auf zuverlässigen Daten. Auf Basis dieser besseren Informationslage könnte die Versicherungsgesellschaft den Landwirt*innen günstigere Prämien anbieten. Die gewonnenen Daten können gleichzeitig für die Vermarktung und Rückverfolgbarkeit der Produkte genutzt werden. Denn mit Produkten aus nachhaltigem Anbau lassen sich auch höhere Verkaufspreise erzielen, welche die Einkommenssituation der Kleinbäuer*innen stabilisieren würde.
Blockchainwelt: Erzähl uns doch bitte mehr über die Fortsetzung des Projektes in Indien.
Patrick: Sehr gerne. Also es geht ja grundsätzlich um die Auditierbarkeit, also die Belegbarkeit von Daten, sprich deren Originalität. Digitalisiert waren die Daten auch vorher schon.
Da unter anderem die Zwischenhändler eine recht große Macht über die Bauern haben, besteht das Risiko der Manipulation und Blockchain verhindert eben genau diese Datenmanipulation größtenteils.
Richtig cool wird das Projekt, wenn noch weitere Firmen ins Netzwerk einsteigen, denn es gibt ein Problem bei der Weiterverarbeitung der Baumwolle. Stell dir vor, da kommen ganz viele Bauern und bringen ihre Baumwolle zum Verarbeiter.
Derzeit können wir zum Beispiel nicht belegen, dass nur Bio-Baumwolle verwendet wird. Die Qualität der Rohware ist nicht eindeutig belegbar, denn alles läuft noch manuell und über Papier.
Wir glauben, dass wir mit unserer Lösung und der Blockchain grundsätzlich alle Siegel weniger bürokratisch und deutlich günstiger machen können. Wenn aber viel mehr Daten zu den jetzigen Daten hinzukommen, haben wir mit Hyperledger Fabric hohe Kosten bei der Erweiterung des Netzwerks.
Das System wird derzeit vorrangig von großen Konzernen und globalen Unternehmen eingesetzt. Kein Wunder, denn es ist teuer und sehr umfänglich. Der Mittelstand, also unsere eigentliche Zielgruppe, kann sich diese Investitionen aber nicht leisten.
Daher haben wir an dieser Stelle im Projekt einen Cut gemacht und etwas entwickelt, dass genau das leisten kann, was wir an dieser Stelle brauchen, und zwar dNet.
Blockchainwelt: Das ist ein ausgezeichneter Übergang zu euren beiden Hauptprodukten, nämlich dNet und dFlow. Beginnen wir mit dNet, was genau kann diese Lösung und wo wird sie eingesetzt.
Patrick: Also grundsätzlich liefert Hyperledger Fabric genau das, was es verspricht. Mit Fabric lassen sich Geschäftsprozesse zwischen Unternehmen digitalisieren, aber es ist noch kostenintensiv, unverständlich und technisch.
Der Komfort für den Mittelstand fehlt noch. Aus unserer Sicht wurde die Frage, was der Kunde eigentlich will, viel zu selten gestellt. Wir haben gelernt, dass der Kunde eine neue visuelle Sprache benötigt, um die Technologie leicht und intuitiv nutzen zu können.
Beispielsweise bei der Bildung von Konsortien, da will der Anwender innerhalb dieser Konsortien eine Governance haben. Er benötigt eine basisdemokratische Blockchain, die nicht von oben hierarchisch geführt wird. Und er will innerhalb dieser Konsortien Applikationen einfach selbst installieren, eigene oder solche von Fremdanbietern.
dNet ist ein offenes Ökosystem, ähnlich einem dApp-Store. Aus Entwicklerperspektive bietet dNet als operative Middleware den Vorteil einer starken Vereinfachung.
Direkt auf Hyperledger Fabric wäre das kostspielig, da sich der Entwickler nur zu 20 % um die eigentliche Entwicklung kümmert und zu 80 % um die Schwierigkeiten von Fabric, also den hohen Arbeitsaufwand im operativen Bereich. Wir sagen, dass ein Entwickler von dApps für dNet ein Full-Stack-Entwickler sein kann.
Als Entwickler ist es nicht mehr notwendig, so starke Blockchain-Kenntnisse zu besitzen wie früher. Wir glauben, dass es mit dNet einfacher wird und die Lösung ideal für den Mittelstand ist. Dafür suchen wir gerade nach Kooperationen mit bestimmten größeren Partnern, denn wir wollen das Projekt demnächst Open-Source stellen.
Für dNet setzen wir auch auf eine neue visuelle Sprache. So wie damals beim Wischen und Scrollen auf Smartphones, muss diese Sprache für die Blockchain erst noch gefunden werden.
Hier haben wir uns zum Beispiel bei Multi-Player-Online-Spielen bedient, wo man eine sog. Lobby aller offenen Spiele sieht; da zocken 30 in Deutschland, 20 in Frankreich und dann ist die Frage, darf ich einem Spiel beitreten?
Im Regelfall bist du direkt drin, aber manchmal muss man erst nachfragen oder benötigt ein Passwort. Dieses Konzept ist in dNet übernommen worden. Man sieht eine Lobby von offenen Konsortien, beispielsweise eines für „Supply Chain für Burger“, eines für „Supply Chain für Baumwolle mit Öko-Siegel“, eines für Autoteile.
Und jetzt kann man als Unternehmen an einem Konsortium mitwirken oder dort Leistungen und Güter anbieten. Mit einer intuitiven visuellen Sprache bricht man hier das schwierige technische Thema Blockchain auf eine simple Sprache herunter, die wir alle verstehen.
Eigentlich ist es einfach, wir wollen über die Blockchain effizienter zusammenarbeiten können. Natürlich ist es technisch kompliziert, aber ein gutes Frontend kann das über eine visuelle Sprache intuitiv abbilden und die Komplexität im Backend weg abstrahieren.
Blockchainwelt: Die Hilfe eines kompetenten Partners, kannst du uns etwas näher erläutern?
Patrick: Ich kann nicht alles verraten, da wir da gerade in wirklich spannenden Gesprächen sind. Aber lass es mich mal so beschreiben, wir holen uns Hilfe bei großen Konzernen und bieten Ihnen dafür die Möglichkeit, mit unserer Lösung gemeinsam Open-Source zu werden.
Das heißt, ein bekanntes Unternehmen hat unsere Lösung bereits im Einsatz und stellt es dann mit uns der Open-Source-Community für die Weiterentwicklung zur Verfügung.
So haben wir beide etwas davon, denn wir bieten die technologische Lösung und erwarten dafür, dass man uns an die Hand nimmt und wir das gemeinsam umsetzen.
Man kann es ja nur einmal open-sourcen, wir wollen, dass die globalen Partner, die den Weg mit uns gehen, auch mit ihrer Marke oder dem Namen dahinterstehen. Also eine Art Kooperation, die benutzen das Protokoll dann schon.
Und wir können es dadurch mit wertvollen Erfahrungen Open-Source stellen. Unsere Idee ist es, dass wir ein Problem lösen, das die auch haben. Das bieten wir denen als Leckerchen und wir erwarten dafür, dass die uns an die Hand nehmen und wir das gemeinsam lösen.
Blockchainwelt: Kommen wir zu einer anderen Säule des unternehmerischen Erfolges, und zwar dFlow. Was ist das für eine Lösung und warum habt ihr sie entworfen?
Patrick: Wir haben erkannt, dass 80 % der Probleme unserer Kunden immer gleich sind. Während dNet eine organisatorische und technische Basis ist, quasi ein dezentrales Betriebssystem, setzt dFlow auf der Anwendungsebene darüber an und modelliert die eigentliche Fachlichkeit, also die Geschäftsprozesse zwischen den Unternehmen.
Für Prozesse innerhalb von Unternehmen gibt es schon gängige Standards wie beispielsweise Business Process Model Notation, kurz BPMN.
Cool ist, dass dieser Standard total einfach interpretierbar ist. Man muss kein Techniker sein. Bisher wurde das nur in Unternehmen eingesetzt, aber wir setzen diese Notation mit dFlow nun zwischen Unternehmen ein.
Es geht dabei um visuelle Smart Contracts. Ist ein Vertrag grafisch darstellbar, dann kann ihn jeder verstehen und wir erreichen so die mittlere Managementebene, nicht nur die Blockchain-Entwickler.
Mit der Visualisierung von Verträgen gelingt es, die Blockchain für jeden zugänglich zu machen. Wir haben dabei bewusst auf eine interaktive Low-Code-Lösung gesetzt, die aber durch Code erweiterbar ist.
Blockchainwelt: Worin liegen die Schwierigkeiten des dt. Mittelstandes bei der Adaption der Blockchain? Einmal aus Sicht der Technologie und einmal aus Sicht der Unternehmen, also was hindert sie an dem Einsatz. Und gibt es Grenzen für die Technologie, also wo sie nicht in den Mittelstand passt?
Patrick: Wenn wir es von der Seite der Unternehmen aus betrachten, dann würde ich sagen, die meisten brauchen keine Blockchain. Viele wollen eigentlich auch genau genommen keine Blockchain, denn die Transparenz, die die Blockchain liefert, ist oftmals gar nicht gewünscht.
Jeder Mensch lügt mehrmals am Tag. Meist sind es Notlügen, um Konflikte zu vermeiden. Jetzt stell dir vor, wir müssten jede Notlüge ausdiskutieren und im Anschluss einen gemeinsamen Konsens finden.
Eine Notlüge ist nicht immer böse gemeint, sie ist manchmal einfach effizienter, weil sich 80 % der Probleme sowieso von selbst lösen oder schlicht Missverständnisse sind.
So ist das mit der Transparenz der Blockchain auch, die zwischen und innerhalb der Unternehmen existiert. Vieles soll einfach nicht transparent in die Blockchain.
Aus technologischer Sicht ist die Entwicklung einer Blockchain-Anwendung derzeit noch teuer, unverständlich und viel zu technisch.
80 % der Probleme unserer Kunden überschneiden sich. Sie lösen oft unabhängig voneinander und somit mehrfach dieselben technischen Probleme.
Es gibt große Überschneidungen, aber sie fangen alle bei null an. Das ist ineffizient. Diese 80 % können wir größtenteils durch unsere Middleware wegautomatisieren. Die 20 %, um die es eigentlich geht, das ist der eigentliche Use Case, also die Fachlichkeit.
Blockchainwelt: Was ist mit der Grenze der Technologie, wo stößt die Blockchain an die Grenzen des Machbaren?
Patrick: Tatsache ist, dass die Kunden häufig schon von Blockchain gehört haben, aber nicht genau wissen, was diese Technologie kann.
Eine bittere Lektion, die wir im Laufe der Beratungen lernen mussten, ist, dass sich Prozesse zwischen Unternehmen ohne Grundvertrauen nicht auf der Blockchain abbilden lassen.
Wenn das Grundvertrauen nicht da ist, kann keine Technologie der Welt dieses Problem lösen. Auch die Blockchain ist dazu nicht in der Lage. Am Ende geht es immer um Vertrauen und es bleiben immer Menschen involviert.
Was die Blockchain liefert, ist Verifizierbarkeit. Es muss nicht hundertprozentiges Vertrauen sein, aber ich kann verifizieren, was du wann gesagt hast. Denn das ist transparent abgelegt.
Blockchainwelt: Es geht um eine ganz aktuelle Info: „Dezentrale Identitäten über lissi.id (Hyperledger Indy) an dNet/dFlow.“ Hast du mehr Details dazu?
Patrick: Ja, diese News sind ganz frisch. Wir hatten Lissi auf einer Messe getroffen, fanden die wirklich nett und haben schnell festgestellt, dass es bei unseren Themen Überschneidungen gibt.
Wir wollen die Enterprise Blockchain mit Middleware vereinfachen und das Team von Lissi will digitale Identitäten mit Middleware vereinfachen. Wir machen Prozesse, die machen SSI. Uns war sofort klar, dass es hier eine große Schnittmenge gibt.
Blockchainwelt: Hast du hierzu ein konkretes Beispiel für uns?
Patrick: Ja, habe ich. Nehmen wir wieder an, ein Maschinenzulieferer liefert eine Maschine an seinen Kunden. Doch nach einer Weile geht die Maschine kaputt.
Es startet ein Prozess, da kein Mitarbeiter zur Reparatur frei ist und deswegen ein externer Dienstleister beauftragt wird und zum Kunden in die Maschinenhalle fährt.
Wieder sind drei Parteien beteiligt, aber auch noch zahlreiche andere Menschen, denn der externe Mitarbeiter muss sich zunächst identifizieren, bekommt einen Besucherausweis und geht evtl. sogar in Begleitung zum Einsatzort.
In Zukunft könnte der Dienstleister aber mit Lissi die entsprechende Halle betreten, ohne vorher zum Empfang zu müssen. Und zwar weil ihm vorab der Kunde über den Maschinenanbieter Verified Credentials überstellt hat, die ihm den Zutritt zur Halle gewähren.
Das könnte über einen Code auf dem Smartphone sein, der an der Halle gescannt wird. Die Zugangsberechtigung über SSI erfolgt also völlig digital, ohne dritte Instanz und ist eng mit dem Geschäftsprozess auf der konsortialen Blockchain verknüpft.
Blockchainwelt: Es geht ja bei der Blockchain viel um Vertrauen und wir haben auch schon gesehen, dass sie nicht bei Fällen eingesetzt werden kann, wenn sich Unternehmen nicht vertrauen.
Wie bewertest du diesen Aspekt des gegenseitigen Vertrauens, ist das nicht ein Widerspruch zur digitalen Technologie der Blockchain?
Patrick: Ich denke, Vertrauen ist teuer. Deswegen haben wir Hierarchien gebaut, Staaten, Behörden, Unternehmen und Institutionen wie beispielsweise die Zentralbank eingerichtet.
Sie ist auch da, um Vertrauen in die Währung zu schaffen. Doch Kryptowährungen brauchen keine Zentralbank, bei der Blockchain ist das Vertrauen wegrationalisiert.
Und das ist günstiger für die Benutzer, während die Bankenhierarchie teuer für uns Konsumenten und die beteiligten Unternehmen ist.
Vertrauen zwischen Menschen lässt sich ins Digitale abbilden, und zwar auf der Blockchain. Doch der erste Schritt bei der Konzeptionierung einer neuen Lösung auf Basis von Blockchain ist immer der, dass ein gewisses gegenseitiges Grundvertrauen vorliegen muss. In konsortialen Blockchains geht es nicht ohne dieses Grundvertrauen.
Es geht dabei nicht um das menschliche Gefühl, sondern um die Gewährleistung von Transparenz in Daten und deren Offenlegung braucht nun mal zunächst das Grundvertrauen der beteiligten Institutionen.
Getreu dem Motto „Vertrauen ist gut, (gegenseitige) Kontrolle ist besser“ kann durch Blockchain ein tieferes – weil verifizierbares – Vertrauen und in Folge eine effizientere Kooperation entstehen.
Durch die automatische Transparenz durch die Blockchain lohnt es sich einfach viel weniger, seinen Geschäftspartner zu betrügen.
Übrigens könnten Konsortien, basierend auf Hyperledger Fabric und dNet+dFlow, in Zukunft die Geschäftsprozesse einer tokenisierten Decentralized Autonomous Organization (DAO) abbilden, was zu ganz neuen und viel flexibleren Wirtschaftsmodellen führen könnte.
So organisierte DAOs könnten auf lange Frist Konzerne ersetzen, wenn die Governance funktioniert.
Wir sprechen dann nicht mehr von untergeordneten Konzerntöchtern und Zulieferern, sondern von Partnerfirmen, welche auf gleicher Augenhöhe dezentral die Lieferkette und Herstellung eines Endproduktes organisieren und die Gewinne aus dem Verkauf des Produktes fair untereinander verteilen. Das hätte das Potenzial, den Mittelstand zu stärken.
Blockchainwelt: Was sind die Projekte für die Zukunft, gibt es eine Roadmap?
Patrick: Ja, es gibt für die nahe Zukunft ganz sicher ein großes Projekt, und zwar dNet Open Source zu stellen. Hierzu laufen derzeit viele Gespräche.
Auch mit dFlow wollen wir weitergehen. Es soll nicht nur in konsortialen Blockchains einsetzbar sein, sondern für ausgewählte Use Cases auch in öffentlichen Blockchains.
Mit dieser Idee haben wir uns auf einen Grant bei der Dfinity Stiftung beworben, welche die Blockchain „Internet Computer“ (ICP) verwaltet.
Diese Blockchain ist sehr viel flexibler als Ethereum, und auch viel günstiger. Zusätzlich kann Dfinity auch komplette Frontends mit ausliefern.
Bei Ethereum ist nur die Chain dezentral, aber die Website, über die du Ethereum verwendest, ist zentralisiert gehostet.
Dfinity (der Internetcomputer) erlaubt echte End-to-End-Dezentralisierung, weil diese Chain deutlich komplexere Rechnungen ausführen kann. Auch die Privacy ist besser.
Genau deshalb kann dFlow darauf laufen und auch zu akzeptablen Preisen. Wir haben einen ICP Grant über 25.000 USD gewonnen und wollen mit dem Minimum Viable Product (MVP) von dFlow auf ICP bis April fertig sein.
Das ist ein dauerhaftes Unterfangen, daher planen wir einen ICO direkt nach der Fertigstellung des MVP.
Das ist für uns ein großes Vorhaben, weil fast alle eingesetzten Technologien neu sind. Es wird einen dFlow-Token geben, welcher die Zahlung für die Erstellung und Ausführung von Prozessen ermöglicht. Auch Staking wird möglich sein.
Außerdem werden wir die Lizenzierung und Zertifizierung von Prozessen von und durch Fremdanbieter einbauen.
Als Use Cases sehen wir hier vor allem wiederkehrende Prozesse mit mehreren Beteiligten (diesmal auch Einzelpersonen) wie Wirtschaftsprüfungen, Bilanzierungen, Überprüfungen von technischen Geräten u. v. m.
Dabei ist nicht nur die Prüfung und der ausführende Prüfer entscheidend, sondern auch, dass der Prozess dahinter zertifiziert ist, aufgrund dessen die Prüfung durchgeführt wird.